Konzernklagen: aus 5 Mio. werden 935 Mio.

(Ein Auf­ruf von “Mehr Demo­kra­tie e.V.”)

Lie­be Leser,

wie schein­hei­lig: Die USA und Kana­da hat­ten bei TTIP und CETA auf Kon­zern­kla­ge­rech­te in den Han­dels­ver­trä­gen bestan­den. Nun haben sie selbst im Herbst 2018 ihr Han­dels­ab­kom­men NAFTA mit­ein­an­der neu ver­han­delt. Und sie­he da: 

Bei­de Län­der ver­zich­ten in dem Abkom­men auf die umstrit­te­ne Par­al­lel­jus­tiz für Konzerne.

Die Begrün­dung: Die Andro­hung von Schieds­ge­richts­kla­gen ver­hin­de­re Geset­ze im Inter­es­se aller. Unse­re Rede seit Jah­ren! In der EU ste­hen zahl­rei­che wei­te­re Han­dels- und Inves­ti­ti­ons­schutz­ab­kom­men vor dem Inkraft­tre­ten. Sie geben den Kon­zer­nen Zugang zu einer Par­al­lel­jus­tiz, um ihre Rech­te durch­zu­set­zen. Wir for­dern, die­se Pri­vi­le­gi­en zu beenden.

Des­halb star­ten wir heu­te mit dem Netz­werk Gerech­ter Welt­han­del die Kam­pa­gne “Men­schen­rech­te schüt­zen – Kon­zern­kla­gen stop­pen!” – mit einer Akti­on vor dem Bun­des­tag in Berlin. 

Inves­ti­ti­ons­schutz ist ein schö­nes Bei­spiel für eine gut gemein­te Idee, die in der Umset­zung nicht funk­tio­niert. Der Ursprungs­ge­dan­ke aus den 60er Jah­ren ist fol­gen­der: Ohne Aus­lands­in­ves­ti­tio­nen gibt es weder glo­ba­le Kon­zer­ne, noch glo­ba­le Pro­duk­ti­ons­ket­ten. Schieds­ge­rich­te soll­ten Inves­ti­tio­nen in Dik­ta­tu­ren, in denen es kei­ne unab­hän­gi­ge Jus­tiz gibt, gegen poli­ti­sche Will­kür schützen.

Der ers­te Streit­fall wur­de erst 1987 regis­triert. In den 1990er Jah­ren nah­men die Ver­fah­ren zu und erst seit den 2000er Jah­ren gibt es vie­le Fälle. 

Bis heu­te ist wis­sen­schaft­lich nicht ein­deu­tig nach­ge­wie­sen, dass pri­va­te Kon­zern­kla­ge­rech­te Inves­ti­tio­nen nen­nens­wert beför­dern.

Ande­rer­seits ist der Scha­den, den die­se unde­mo­kra­ti­sche
Kon­zern­jus­tiz anrich­tet, immens: 

Aus Angst vor Scha­dens­er­satz­kla­gen fin­det sinn­vol­le Gesetz­ge­bung gar nicht erst statt.

Auf der Pro-Sei­te steht also nichts oder bes­ten­falls wenig.

Bei­spiel 2018: Der fran­zö­si­sche Umwelt­mi­nis­ter woll­te die Gewin­nung von kli­ma­schäd­li­chen Koh­len­was­ser­stof­fen ver­bie­ten. Doch der Gesetz­ent­wurf wur­de abge­schwächt, nach­dem der Ölkon­zern Ver­mi­li­on mit einer Kla­ge vor einem pri­va­ten Schieds­ge­richt gedroht hatte.

Schieds­ge­rich­te urtei­len nicht auf der Basis der Geset­ze, son­dern auf der Basis von Handelsabkommen. 

Bei­spiel 2011: Ecua­dor kün­dig­te einen Ölför­der­ver­trag mit Occi­den­tal Petro­le­um (Oxy). Der US-Kon­zern hat­te die Lizenz wei­ter­ver­kauft und damit gegen ecua­do­ria­ni­sches Recht ver­sto­ßen. Das pri­va­te Schieds­ge­richt bestä­tig­te dies. Den­noch gewann Oxy die Kla­ge gegen die Ver­trags­auf­lö­sung vor dem pri­va­ten Schieds­ge­richt. Zusätz­lich wur­de Ecua­dor wegen „unfai­rer Behand­lung“ ver­ur­teilt und zur bis­her größ­ten Scha­den­er­satz­zah­lung von 2,4 Mil­li­ar­den US-Dol­lar inklu­si­ve Zin­ses­zin­sen ver­don­nert. Das ist so viel wie die Hälf­te der jähr­li­chen Gesund­heits­aus­ga­ben des klei­nen Lan­des.1

Die Höhe der zuge­spro­che­nen Sum­men ist fast schon kriminell.

Bei­spiel 2012: Liby­en muss der kuwai­ti­schen Tou­ris­mus­fir­ma Al Kha­ra­fi 935 Mil­lio­nen US-Dol­lar Scha­den­er­satz zah­len, weil die Bau­ge­neh­mi­gung für ein Stück Land nahe Tri­po­lis zurück­ge­zo­gen wur­de. Der direk­te ent­stan­de­ne Scha­den durch ange­fal­le­ne Kos­ten betrug ledig­lich fünf Mil­lio­nen US-Dol­lar – es kam nie zu Bau­ar­bei­ten. Doch das Gericht sprach dem Inves­tor zusätz­lich 30 Mil­lio­nen US-Dol­lar an „mora­li­schem Scha­den­er­satz“ zu sowie 900 Mil­lio­nen US-Dol­lar an „ent­gan­ge­nen Gewin­nen“.2

Das Sys­tem selbst hat sich pervertiert.

In den letz­ten zehn Jah­ren hat sich eine regel­rech­te Kla­ge-Indus­trie her­aus­ge­bil­det. Nur Kon­zer­ne haben Zugang zu die­sem pri­va­ten glo­ba­len Jus­tiz­sys­tem, Men­schen nicht. Welt­weit schüt­zen über 3.400 Inves­ti­ti­ons­ab­kom­men die Rech­te von Kon­zer­nen. Sie kön­nen Regie­run­gen vor inter­na­tio­na­len Schieds­ge­rich­ten ver­kla­gen, wenn sie sich unge­recht behan­delt füh­len. Umge­kehrt gibt es die­se Mög­lich­keit bei Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen nicht.Wir for­dern: Kon­zern-Kla­ge­rech­te abschaf­fen, statt­des­sen Unter­neh­mens­haf­tung ver­bes­sern und Men­schen­rech­te schützen. 

Hier kli­cken und gegen unfai­re Par­al­lel­jus­tiz unterschreiben!

Wir for­dern die EU und ihre Mit­glied­staa­ten auf, die­se Pri­vi­le­gi­en für Kon­zer­ne zu been­den. Wir for­dern, dass sie sich aus Inves­ti­ti­ons­ab­kom­men, die Kon­zern­kla­ge­rech­te ent­hal­ten, zurück­zie­hen. Wir for­dern, künf­tig kei­ne Abkom­men mit Kon­zern­kla­ge­rech­ten mehr abzuschließen.

Herz­li­che Grüße

Roman Huber
Geschäfts­füh­ren­der Bun­des­vor­stand “Mehr Demo­kra­tie e.V.”

Fuß­no­ten:
1 PUBLIC CITIZEN: Occi­den­tal v. Ecua­dor Award Spot­lights Peri­ls of Inves­tor-Sta­te Sys­tem, Memo­ran­dum, Washing­ton, 21. Novem­ber 2012.
2 Link zur Quel­le (PDF)